So angenehm, wie der letzte Abend in der Bucht begann, blieb er nicht….
Die erste Bora
Gegen 21 Uhr frischte plötzlich der Wind auf und zerrte mit Böen von bis zu 28 kn an der Takelung. Das Drahtseil des Großfall schlug schnell, hart und laut an den Mast. Der Hubkiel schepperte in seiner Führung. Auch das Wasser wurde nun unruhig, wir bekamen heftigen Schwell. Das Dingi hob und senkte sich hinter dem Boot um mehr als einen Meter. Unsere Weingläser fanden keinen Halt mehr auf dem Cockpit-Tisch und wir verräumten hastig alles in die Pantry. Schnell wurde uns klar, dass wir hier gerade unsere erste Bora erlebten. Unsere vermeintlich sichere Bucht erwies sich jetzt als Falle: Die Bora fegte über den Hügel, der uns vom offenen Wasser trennte, und nahm beim Abfallen noch an Geschwindigkeit zu. Das Boot drehte sich bei jeder Böe und zerrte knarzend an der Ankerleine. Da wir recht nahe zu zwei felsigen Ufern lagen, startete ich die Ankerwache-App auf dem iPhone und zeichnete mit dem Finger einen recht engen Kreis um das Boot. Zu eng, wie sich gleich zeigte, denn die sail la vie schwojte im ständig drehenden Wind und überschritt damit jedes Mal den engen Überwachungskreis, was einen schrillen Warnton der App hervorrief. Ich zog den Kreis also etwas größer und hoffte, dass wir so bei Haltverlust des Ankers immer noch ausreichend Zeit zum Reagieren hätten, bevor das Boot auf die spitzen Felsen der Küste schlägt.
Der Wind peitschte jetzt so stark, dass sogar das Wasser aus der Bucht gedrückt wurde. Von den ursprünglichen 1,8 m waren jetzt nur noch 80 cm verblieben. Das Ruder drückte sich ächzend in den Sandboden und wirbelte bei jeder Bewegung des Bootes das Steuerrad von einer auf die andere Seite. Wir überlegten, den Heckanker ausbringen, um dem Boot mehr Stabilität zu verschaffen, verwarfen die Idee aber wieder.
Bei mir sorgte der Wein für eine unwiderstehliche Müdigkeit, und kaum hatte ich mich in meine Koje verzogen, schlief ich tief und fest. Hannes aber dachte nicht an Schlaf. Fast schon ein wenig panisch kontrollierte er jede Viertelstunde mit der Taschenlampe den Abstand zu den Ufern und passte immer wieder den Ankerwächter an, um die schrillen Warnungen abzustellen, die nicht mal von meinem Schnarchen übertönt wurden.
Hannes‘ Sicht der Dinge:
Matthias schlief tatsächlich. Ich dagegen hatte noch zu viele Schreckensszenarien im Kopf, um einzuschlafen. Was, wenn die Bora noch stärker wird? Hatte ich nicht Bilder gesehen, auf denen von der Bora umgeworfene Boote und Wohnmobile zu sehen waren? Was, wenn der Anker nicht hält? Welche Möglichkeiten hätten wir dann, ein an die Felsen Schrammen zu verhindern? Der Motor ließe sich sicher nicht so schnell zur Rettung aktivieren? Wäre der Heckanker tatsächlich eine gute Idee gewesen, oder hätte gerade der verhindert, dass sich unser Boot bei drehendem Wind neu ausrichten und so ihm die Kraft etwas nehmen kann?
All diese Gedanken, untermalt durch lautes Krächzen, Fallgescheppere und zum Teil ruckartiges Geschaukel der sail la vie, immer dann, wenn sich der Kiel wieder in den sandigen Boden grub, raubten mir den Schlaf.
Der schrille, fast schreiende, tief unter die Haut gehende Alarmton des Ankerwächters ließ es zudem nicht zu, mich in den Schlaf zu entlassen, da er gefühlt mindestens alle 20 Minuten ansprang, und mir so mitteilte, dass sich unsere Ankerposition verändert hatte. Spätestens dann musste ich mich jedesmal mit der Taschenlampe vergewissern, dass der Abstand zum felsigen Ufer noch ausreichte.
Matthias schlief.
Ich erinnere mich, dass ich es als erlösend empfand, als ich um 04:30 ein Aufhellen des Horizonts ausmachte, und sich so der nahende Sonnenaufgang ankündigte.
Um 05:30 war für uns beide die Nacht zu Ende. Auch Matthias war jetzt im Cockpit, sicher durch meine Unruhe geweckt.
Die Bora hatte sich beruhigt, der Schwell war nur noch ein eher angenehmes Wiegen. Der Anker hatte gehalten, uns wohl aber geschätzte 20 Meter in der Bucht versetzt.
Ein Blick auf den Batteriemonitor brachte den nächsten Schrecken: Der Füllstand zeigte unter 10 Prozent!! Zu viele Verbraucher, wie Ladegeräte, Kühlschrank, Ankerlicht und Instrumente mit Beleuchtung, hatten unsere eigentlich ausreichend groß dimensionierte Hauptbatterie dann doch leergesaugt. Schnell wollte ich den Motor starten, um dadurch der Batterie wieder Energie zuzuführen, doch auch dieser ließ sich mangels Energie nicht mehr starten. Hastig, vielleicht schon ein wenig panisch, versuchte ich nun, den Motor per Hand anzuwerfen. Doch das Zugseil blockierte, ich konnte den Motor nicht drehen. Mein Puls stieg dadurch merklich an, wären wir doch manövrierunfähig, würden wir den Motor und dadurch auch die Elektrik nicht zum Laufen bringen. Nach hastigen Ein-Auskuppel-Versuchen und erneutem Anreissen am Anlasserseil gelang es mir dann doch endlich, den Motor zu starten.
Sichtlich erleichtert frühstückten wir ausgiebig, während der Motor, im Leerlauf laufend, unserer Batterie neues Leben einhauchte.
Der Morgen danach
Am nächsten Morgen sehen wir, dass uns die Bora mindestens 20 Meter in der Bucht versetzt hat. Schon erschreckend, wo wir doch der festen Überzeugung waren, wir wären sicher positioniert.
Wir können nun am Meeresboden deutlich jede Furche im Sand erkennen, so tief war der Wasserstand letzte Nacht gefallenen. Wir haben kaum noch Wasser unter’m ohnehin schon hochgezogenen Kiel.
Uns ist noch ein wenig mulmig von den für uns völlig neuen Erlebnissen. Und es überrascht uns, wie friedlich sich die Bucht heute zeigt. Kaum eine Welle, kaum Wind.
Nach dem Frühstück machen wir uns schon um 8 Uhr auf den Weg zu unserer nächsten Station, dem sicheren Hafen von Supetarska Draga.
Aus der jetzt so seichten Bucht kommen wir nur mit angehobenem Kiel, und das Ruder schleift einige Male gefährlich im Sand und lässt das ganze Boot rucken. Ich fürchte, der ohnehin schon etwas lädierte untere Rand des Ruders, den ich zuhause gerade erst mit Epoxy Harz repariert und verstärkt hatte, könnte wieder Schaden nehmen. Aber es hält.
Unter Motor fahren wir um die Nordspitze von Rab und schlagen dann einen südlichen Kurs nach Supetarska ein.
Endlich segeln
Kaum um den Nordostfinger von Rab herum, will Hannes die Segel setzen. Der Wind bläst mit 16, in Böen bis 20 Knoten gegenan. Wir hissen Groß und Genua, und Hannes stellt die sail la vie hart an den Wind. Schnell machen wir 4,5 kn Fahrt, deutlich mehr als zuvor mit Motor. Immer wieder überfallen uns plötzliche Böen, und das Boot krängt beängstigend, fast kommt das Wasser über die Seite. Genau dieses Erlebnis hatte mir zuvor schon am Chiemsee Panik bereitet. Inzwischen habe ich aber einige Aussagen von erfahrenen Seglern im Kopf, wie „Dieses Boot kippt nicht so schnell, eher bricht der Mast“, und so stemme ich mich bei jeder dieser starken Krängungen tapfer mit den Füßen gegen die Cockpitwand und versuche, unbeeindruckt auszusehen, während ich mein Herz im Hals klopfen spüre. Hannes meistert die Situation mit Perfektion. Auch er hat so eine Krängung noch nicht erlebt. Aber seine Lösung ist so simpel wie genial: Er reisst das Ruder in den Wind, nimmt so die Kraft aus den Segeln und lässt sie killen. Die sail la vie stellt sich dabei innerhalb einer Sekunde wieder in eine aufrechte Position, als wäre nichts gewesen. Okay, mit der Gewissheit, mein Bruder macht das schon, kann ich die wilde Fahrt jetzt sogar etwas genießen.
An der Einfahrt zur Bucht von Supetarska holen wir die Segel ein und werfen wieder den Motor an, um besser manövrieren zu können.
Gerade als wir recht nah am Ufer und einem davor liegenden Tauchboot vorbeifahren, passiert das Unglück: Eine Böe reisst Hannes sein geliebtes weisses Cappy vom Kopf und lässt es über Bord gehen. Hannes reagiert sofort und kuppelt aus. Das Cappy treibt nur wenige Meter entfernt achter ab im Wasser an der Oberfläche. Aber weder der Kescher noch der Bootshaken sind lang genug, um es noch erreichen zu können. Also legt Hannes den Rückwärtsgang ein – und würgt damit den Motor ab. Er hatte vergessen, dass wir das Dingi an langer Leine hinter uns her gezogen hatten. Durch das Aufstoppen war es nahe ans Boot gedriftet, und beim Einkuppeln wickelte sich die Leine um die Schraube und blockierte sie. In panischer Verlustangst um sein Cappy und gleichzeitig angesichts der bedrohlichen Nähe zum Tauchboot und dem Ufer springt Hannes samt Klamotten ins Wasser und befreit mit heldenhaftem Einsatz die Leine aus der Schraube. Keine Schäden, ausser einer leicht angewetzten Leine. Wir sind nun wieder manövrierfähig, fahren uns von Tauchboot und Ufer frei. Es dauert 10 Minuten, bis wir das weisse Cappy in den ebenfalls weissen Schaumkronen der Wellen ausmachen und retten können.
Um kurz vor 11 Uhr laufen wir dann in der Marina ein. Vom bereits am Steg winkenden Personal werden wir zu einem Liegeplatz dirigiert. Hannes steuert das Boot, während ich schon die Fender ausgebracht und am Bug die Festmacherleinen vorbereitet habe. Der Marinamitarbeiter angelt die Muringleine aus dem Wasser und überreicht sie mir, während ich ihm, balancierend auf der Bugspriet zuerst die eine, dann die andere Festmacherleine hinüberreiche, und selbst an die Klampe lege. Der Mitarbeiter sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, und fragt mich „Woo is Muring?“. Irgendwie habe ich bei dem ganzen Leinen-hin-und-her-Gereiche wohl die Muringleine versehentlich wieder zurück ins Wasser fallen lassen. Und während er sie leicht angesäuert ein weiteres Mal heraus angelt, fragt er mich mit deutlich sarkastischem Ton „Erste Mal in Marina, ha??“, erwartet aber wohl nicht wirklich eine Antwort.
Nun liegen wir also endlich am Steg, eingeklemmt zwischen deutlich größeren Motorbooten.
Ein Bekannter hatte uns von dieser Marina vorgeschwärmt. Aber wir können die Reize nicht wirklich erkennen. Es gibt hier ausser einem Restaurant und einem Laden auf der anderen Straßenseite nichts. Die Stadt, oder besser das Dorf, liegt an der gegenüber liegenden Seite der Bucht. Viel zu weit zu Fuß und viel zu umständlich, mit dem Boot hinüber zu fahren. Und auf die Frage nach einer Tankstelle empfiehlt man uns, ein Taxi ins Dorf zu nehmen.
Also beschränken wir uns auf das vorhandene Angebot und genießen im Restaurant gebackene und gegrillte Tintenfische. Lecker.
Kosten Tag 4
Liegeplatz Supetarska | 35,00 € | |
Gesamt | 35,00 € |